Mein Kind versteht mich nicht!

 

Immer häufiger werden in meiner Praxis Kinder vorgestellt, die – obwohl im Alltag durchaus intelligent und sprachlich unauffällig – in bestimmten Situationen Sätze und Arbeitsanweisungen nicht zu verstehen scheinen. Sind diese Kinder bereits in der Schule, kommt es zu unterschiedlich stark ausgeprägten Schulschwierigkeiten. Das können Rechtschreibprobleme sein, aber auch Schwächen im Fach Mathematik, hier natürlich insbesondere bei den Textaufgaben. Auch die Spanne der gerichteten Aufmerksamkeit („Konzentration“) ist zu kurz. Nicht selten wurden die betroffenen Kinder bereits mehrfach bei Ohrenärzten vorgestellt, weil man vermutete, dass sie schwerhörig seien. Die Untersuchungen ergaben aber keinen Befund. Und trotzdem: Diese Kinder verstehen einfach nicht!

 

Als Hintergrund dieser Probleme stellt sich oft heraus, dass die betroffenen Kinder deutliche Schwächen im Bereich des Kurzzeitgedächtnisses haben, und zwar insbesondere für Informationen, die sie hören. Sprache wird also in dem Moment wieder vergessen, in dem sie gehört wurde. Im Kleinkindalter fällt das Problem noch nicht sehr ins Gewicht, weil man von den Kindern dann noch nicht erwartet, dass sie komplexe Sätze verstehen. Einzelne Wörter lernen die hier beschriebenen Kinder meist genauso schnell wie ihre Altersgenossen. Allerdings fällt manchmal auf, dass ein einzelnes Wort mit einer ganzen Handlung gleichgesetzt wird. So assoziiert ein Kind zum Beispiel das Wort „Mütze“ mit der Handlung, diese Mütze aufzusetzen. Wann immer man in diesem Fall eine Aufforderung, die das Wort enthält, an das Kind richtet („Hol mal die Mütze.“, „Räum die Mütze auf.“ ...), wird das Kind die Mütze aufsetzen.

 

Sie sehen, das Kind kann keine Sprachmuster entwickeln, es muss jeden Satz neu analysieren, um ihn zu verstehen. Da es aber gleichzeitig alles sehr schnell wieder vergisst, scheitert es oft in seinen Bemühungen. Es kann sich einen Satz einfach nicht lange genug merken, um ihn Wort für Wort zu verstehen. Letztendlich bleibt dem Kind die eigene Sprache fremd, es handelt sich also wirklich um eine Fremdsprache.

 

In der aktiven Sprache des Kindes muss das Problem nicht unbedingt auffallen. Meistens sprechen die betroffenen Kinder ganz normal, hin und wieder findet man die angesprochenen Probleme bei Kindern mit sehr früher und schneller Sprachentwicklung. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich daraus, dass diese Kinder Sprache eher intuitiv benutzen – aber nur in einem begrenzten Umfang verstehen. Aber auch verzögerte Sprachentwicklung kann zu diesen Sprachverständnisproblemen führen.

 

Wodurch fallen diese Kinder im Alltag auf?

Es handelt sich um Kinder, die mitunter „merkwürdig“ reagieren oder nichts mitzubekommen scheinen.

Sie fragen oft nach oder reagieren überhaupt erst bei der dritten Aufforderung. Sie vergessen augenblicklich, bei Arbeitsaufträgen in mehreren Schritten fehlt grundsätzlich mindestens die Hälfte.

Häufig kommt es zu Missverständnissen, wobei diese Kinder – je nach Temperament – wütend oder resigniert reagieren.

Sie sind entweder sehr geräuschempfindlich oder fühlen sich erst in lautem Krach richtig wohl.

 

Und in der Schule?

Auch hier ist die Bandbreite der Probleme groß, fast jedes Extrem ist vertreten. Arbeitsanweisungen des Lehrers gehen an diesen Kindern oft spurlos vorbei.

Sie beginnen, im Unterricht zu träumen oder zu stören.

Sie beginnen mit einer Aufgabe und scheinen mittendrin zu vergessen, um was es eigentlich geht.

Manche können dem Mathematikunterricht nicht folgen oder sie schreiben schlechte Diktate.

Ihre Aufsätze weisen einen relativ einfachen Satzbau auf, der ihrem sprachlichen Ausdruck im Alltag nicht immer entspricht.

Selten wissen sie ganz genau, was sie als Hausaufgabe machen müssen.

Wenn die Mutter oder der Vater dann bei den Hausaufgaben helfen wollen, weil das Kind offensichtlich wieder nicht mitbekommen hat, wie eine Aufgabe zu bewältigen ist, kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen und Tränen.